Artikel und Texte: Fuchsjagd in den Niederlanden - Quo Vadis, Reineke?
Fuchsjagd in den Niederlanden – Quo vadis, Reineke?
Dag Frommhold, 2006.
Veröffentlicht u.a. in "Freiheit für Tiere" (2006)

Als das Flora- und Faunagesetz („Flora- en Faunawet“) in den Niederlanden im April 2002 nach fast fünfzehnjähriger Bearbeitung und trotz massiven Widerstands der Jägerschaft schließlich in Kraft trat, war die Freude im Lager der Natur- und Tierschützer groß. Neben zahlreichen anderen Verbesserungen des Schutzes wildlebender Tier- und Pflanzenarten wurde der Katalog jagdbarer Tiere von zuvor 96 auf nunmehr sechs drastisch zusammengestrichen. Unter den seitdem geschützten Wildarten befand sich auch Vulpes Vulpes, der Rotfuchs – europaweit ein Novum, zählt Reineke doch zu jenen Arten, die in den meisten Ländern als Pelzlieferanten, Hühnerdiebe oder vermeintliche Schädlinge unter massiven Nachstellungen zu leiden haben. Auch in den Niederlanden wurden vor Einführung des Flora- und Faunagesetzes jährlich etwa 14.000 Füchse von Jägern getötet.
Die Proteststürme von Hühnerfarmern und insbesondere Jägern ließen angesichts dieses Affronts der damaligen Mitte-Links-Regierung und der sozialdemokratischen Landwirtschaftsministerin Faber nicht lange auf sich warten. Jagdfunktionäre malten Horrorszenarien explodierender Fuchsbestände, massenweise ausgeraubter Hühnerställe und ausgerotteter Wiesenvogelpopulationen an die Wand, und viele Journalisten griffen diese spektakulären Bilder nur allzu gerne auf, ohne dass auch nur ein einziger wissenschaftlich untermauerter Anhaltspunkt für derartige Befürchtungen existierte. „Fuchs ermordet brütende Hühner!“ war in einer holländischen Tageszeitung zu lesen, „Füchse verschlingen neugeborenes Kalb!“, meldete das Dagblad Waterland, und der Gelderlander berichtete empört von einer über das Land rollenden „Fuchsplage“.
Durch den vorzeitigen Fall der niederländischen Regierung im Sommer 2002 und die sich daran anschließenden Neuwahlen änderte sich das Kräftegleichgewicht im Parlament zugunsten einer Koalition aus Christdemokraten, Rechtsliberalen und der rechtspopulistischen LPF (Lijst Pim Fortuyn). Es dauerte nicht lange, bis jagende Parlamentarier aus diesen Parteien den Schutz des Fuchses massiv zu torpedieren begannen – im November 2002 hatte sich eine gut organisierte Front aus konservativen und rechtsgerichteten Kräften innerhalb des Parlaments gebildet, die den Schutz bedrohter Wiesenvögel als Argument für eine Wiedereinführung der Fuchsjagd ins Feld führten. Insbesondere machten sich die besorgten Volksvertreter – unter ihnen etwa die Christdemokratin Annie Schreijer-Pierik, nebenbei Sprecherin der niederländischen Jägervereinigung KNJV – für die Interessen der Uferschnepfe und des Großen Brachvogels stark, zwei Arten, deren Bestände in den letzten Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen sind.
Zur selben Zeit begannen einzelne niederländische Provinzen, auf Druck von Jägern und einigen Landwirten Sondergenehmigungen für den Abschuss von Füchsen zu erteilen. Das Flora- und Faunagesetz sieht derartige Ausnahmen für den Fall vor, dass durch bestimmte Tiere lokal erhebliche nachweisbare Schäden verursacht werden. Während etwa Brabant und Limburg für einzelne Regionen auf Antrag Genehmigungen für die Fuchsjagd erteilten, gab das als Jägerhochburg geltende Friesland Meister Reineke gleich auf der ganzen Provinzfläche zum Abschuss frei. Die Umstände, unter denen diesen Abschussanträgen stattgegeben wurde, blieben jedoch zumeist im Dunkeln, und die angeführten Begründungen – zumeist der Schutz lokaler Vogelpopulationen oder Hühnerfarmen – waren bestenfalls fadenscheinig. Die Naturschutzorganisation „Faunabescherming“ klagte dementsprechend auch in zahlreichen Fällen erfolgreich vor Gericht gegen die Vergabe von Sondergenehmigungen zur Fuchsjagd. Ein regelrechtes, von beiden Seiten mit großer Vehemenz geführtes Tauziehen um die Jagd auf Vulpes Vulpes, den größten Beutegreifer der Niederlande, begann und hielt viele Monate an.
In dieser Zeit wuchs der Druck auf den nunmehr für das Landwirtschaftsressort zuständigen christdemokratischen Minister Veerman kontinuierlich. Veerman, zwar selbst Jäger, nach eigener Aussage jedoch nicht vom Sinn der Fuchsbejagung überzeugt, wurde von seinen fuchsjagdbegeisterten Parteikollegen und Koalitionspartnern dazu gedrängt, Meister Reineke „für den Schutz von Uferschnepfe und Großem Brachvogel“ landesweit wieder jagdbar zu machen. Veerman verwies zunächst auf eine großangelegte, staatlich mitfinanzierte Studie zum Einfluss von Beutegreifern auf Wiesenvogelpopulationen, die im Jahr 2000 begonnen und deren Resultate für 2006 erwartet wurden. Er betonte zunächst mehrfach, diese Untersuchung zur Grundlage seiner Entscheidung in Sachen Fuchsjagd machen zu wollen, wurde dann aber im Herbst 2005, ein gutes halbes Jahr vor Abschluss der Forschungsarbeiten, wortbrüchig. Unter dem wachsenden Druck von Jägern und Landwirten brachte er eine Gesetzesänderung ein, die Füchse zur Vermeidung landwirtschaftlicher und ökologischer Schäden zu einer ganzjährig jagdbaren Art erklärt. Zu Beginn des Jahres wurde dieser Entwurf erwartungsgemäß von der rechtskonservativen Parlamentsmehrheit bestätigt. Seit dem 12. April 2006 dürfen nun selbst säugende Fähen getötet, Jungfüchse mit Knüppeln erschlagen und Füchse im Dunkel der Nacht mit Lampen geblendet werden, damit sie leichter zu erschießen sind.
Wolf Teunissen, Leiter des erwähnten Forschungsprojekts, äußert sich äußerst irritiert über die Entscheidung des Ministers. „Gerade im Hinblick auf die Rolle der Prädation gibt es viele Vorurteile und Jägerlatein. Es ist ein Jammer, dass das Ministerium eine so große Summe in Forschungsprojekte investiert, dann aber nicht auf deren Resultate wartet, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.“ Auch der ebenfalls am „Prädationsprojekt“ beteiligte Ornithologe und Wiesenvogelexperte Hans Schekkermann hält die Entscheidung für voreilig: „Unsere Untersuchungsergebnisse sprechen keinesfalls für eine Wiedereinführung der Fuchsjagd“, konstatiert er. „Wir gehen nicht davon aus, dass Fuchsjagd ein probates Mittel ist, um bedrohten Wiesenvogelpopulationen zu helfen.“
Das Projekt „Predatie bij Weidevogels“ gehört mit einer Dauer von sechs Jahren und einem Finanzierungsvolumen von knapp einer Million Euro zu den größten ornitho-ökologischen Untersuchungen, die jemals in den Niederlanden durchgeführt wurden. Ziel war es dabei, die Rolle der Prädation beim Rückgang verschiedener Wiesenvogelpopulationen in unterschiedlichen Regionen der Niederlande zu analysieren. Mit Hilfe aufwändiger Technik – neben Radiotransmittern kamen auch Wärmebildkameras sowie die Videoüberwachung von Nestern zum Einsatz – sollte die Frage geklärt werden, durch welche Faktoren der als Hauptgrund für den Rückgang der Vogelpopulationen identifizierte mangelnde Bruterfolg maßgeblich verursacht wird.
Im Rahmen der Untersuchung wurden für verschiedene Wiesenvogelarten – darunter der Große Brachvogel, der Kiebitz und die Uferschnepfe – sowohl die Ursachen für den Tod von Jungvögeln als auch die Gründe für den Verlust noch nicht ausgebrüteter Eier ermittelt. Dabei ist der Verlust von Jungvögeln für den Bestand einer bedrohten Vogelpopulation in aller Regel kritischer als der Verlust von Eiern: Erfolgt der Verlust des Geleges in einem frühen Stadium, so ist die Möglichkeit einer erneuten Befruchtung noch gegeben; werden dagegen erst die bereits ausgebrüteten Jungvögel getötet, so ist es für eine „zweite Chance“ oftmals schon zu spät.
Die niederländischen Ornithologen stellten fest, dass der Anteil nicht ausgebrüteter Eier sowohl durch landwirtschaftliche Aktivitäten als auch durch Beutegreifer kontinuierlich zugenommen hat. Verluste durch Füchse spielten dabei jedoch nur in einigen wenigen Brutgebieten eine Rolle, während in anderen Untersuchungsarealen trotz dort zahlreich vorhandener Füchse keine Eier von Meister Reineke erbeutet wurden. Ein noch deutlicheres Bild zeigt sich im Hinblick auf Jungvögel: Über alle Untersuchungsgebiete hinweg fielen in den Jahren 2003 bis 2005 ein knappes Drittel der neugeborenen Kiebitze und Uferschnepfen Prädatoren zum Opfer, wobei daran zumindest fünfzehn unterschiedliche Beutegreifer beteiligt waren. Während 15% der durch Beutegreifer getöteten Jungvögel von Marderartigen, 12% von Bussarden, bis zu 18% von Graureihern und 6% von Krähen erbeutet wurden, waren Füchse durchweg für signifikant weniger als 5% des Prädationsanteils verantwortlich.
Interessanterweise zeigte sich, dass die Höhe der Verluste sowohl von Eiern als auch von Jungvögeln weitestgehend von der Anzahl im Brutgebiet lebender Beutegreifer unabhängig war. Landschaftliche und landwirtschaftliche Faktoren schienen in diesem Kontext eine wesentlich größere Rolle zu spielen und zudem auch das Ausmaß zu bestimmen, in dem bodenbrütende Vögel von Beutegreifern erbeutet werden konnten. In flurbereinigten, trockengelegten Arealen waren die Verluste durch Beutegreifer beispielsweise deutlich größer als in weitgehend naturbelassenen Gebieten mit zahlreichen Teichen. Außerdem erwies sich die vorhandene Deckung als Einflussgröße von erheblicher Bedeutung: Wo Wiesen, die bodenbrütenden Vögeln als Sichtschutz vor Beutegreifern dienen konnten, erst spät in der Saison gemäht wurden, verzeichneten die Wissenschaftler erheblich geringere Verluste als auf früh abgeernteten Flächen.
Ganz offensichtlich handelt es sich beim Rückgang bedrohter Wiesenvogelpopulationen – das gilt für Deutschland ebenso wie für die Niederlande – um ein komplexes Problem, für das eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren verantwortlich ist. Hier wie dort gibt es jedoch nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass ausgerechnet die flächendeckende Bejagung des Fuchses Auswege aus einer Misere bietet, die durch die massive Umgestaltung unserer Landschaft zur Agrarsteppe, durch Flurbereinigung und maschinell betriebene Landwirtschaft ihren Anfang genommen hat. Wird hier möglicherweise der Fuchs zum Sündenbock für fundamentale Fehler in der Landbewirtschaftung gemacht? Deutet die Eile, mit der die Wiedereinführung der Fuchsjagd so kurz vor Veröffentlichung der Resultate einer mehrjährigen, staatlich geförderten Untersuchung umgesetzt wurde, nicht vielleicht sogar darauf hin, dass jagende Politiker vollendete Tatsachen schaffen wollten, bevor harte Fakten ihre Position in der Auseinandersetzung gravierend schwächen konnten?
Während Jäger ihre Waffen vielerorts bereits wieder mit geeigneten Kalibern für die Fuchsjagd laden, hält man selbst bei staatlichen Organisationen wie der Landverwaltungsgesellschaft „Staatsbosbeheer“, die für große Teile des Veluwe, des größten niederländischen Waldgebiets, zuständig ist, wenig von der Entscheidung des Ministers. „Der Fuchs hat als unser größter Beutegreifer eine wichtige ökologische Funktion“, betont J. Rouwenhorst von Staatsbosbeheer. „In unseren Gebieten werden Füchse seit mehreren Jahren nicht bejagt. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht und haben keine Absichten, diese Politik zu ändern. Für die Füchse im Veluwe wird die Gesetzesänderung keine Konsequenzen haben.“
Nahezu überall sonst warten jedoch wieder jägerische Flinten und Fallen auf Meister Reineke – eine Situation, die niederländische Tier- und Naturschützer nicht einfach hinnehmen wollen. Innerhalb einer einzigen Woche gingen 40.000 Protest-Emails im Landwirtschaftsministerium ein, und auf politischer Ebene machten Vertreter von Sozialdemokraten, Grünen und Sozialisten ihre Empörung deutlich. Im April startete die Naturschutzorganisation „Faunabescherming“ die Aktion „Stoppt die Fuchsjagd“ mit dem Ziel, das ministeriale Votum zu revidieren. Um darüber hinaus die Verfolgung von Füchsen ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren, wurde ein Fotowettbewerb für Bilder ausgeschrieben, die auf frischer Tat ertappte Jäger mit ihrer Beute zeigen.
Ob die Proteste für den Fuchs kurzfristig zu den erhofften Erfolgen führen können, wird sich zeigen. Offen ist jedoch auch, ob die Wiedereinführung der Fuchsjagd noch lange Bestand haben wird, wenn bei den Parlamentswahlen 2007 – ähnlich wie bereits bei den Kommunalwahlen zu Beginn diesen Jahres – sich das Blatt wieder zugunsten einer Mitte-Links-Regierung wenden sollte. Die Fakten sprechen immerhin eine deutliche Sprache: Der als Argument für die Bejagung ins Feld geführte Schutz bodenbrütender Vögel ist nur vorgeschoben; die Verfolgung von Füchsen ist gänzlich ungeeignet, um das Überleben von Uferschnepfe oder Großem Brachvogel zu sichern.
Letztendlich bleibt zu hoffen, dass die Vernunft eines nicht allzu fernen Tages wieder über Jagdlust und althergebrachte Feindbilder von Jägern und Landwirten siegen wird. Und vielleicht wird die aktuelle Diskussion in den Niederlanden auch mithelfen, die nicht minder erbarmungslose Verfolgung des Fuchses in anderen europäischen Ländern in Frage zu stellen.
Dank gebührt Wendel Schaatsbergen für die Übersetzung zahlreicher niederländischer Texte.
Literatur
  • W. Teunissen, H. Schekkerman, F. Willems (2006): Predatie bij weidevogels. Opzoek naar de mogelijke effecten van predatie op de weidevogelstand.
  • Artikel aus „De Gelderlander“, „Dagblad Waterland“, „Leeuwarder Courant“, „Eemsbode“, „Vierklank“ sowie niederländischen Online-Publikationen
  • De Faunabescherming, www.stopdevossenjacht.nl; www.faunabescherming.nl
  • A. Hidding, www.reinaertdevos.nl